✽ Die Gemeinde Rohrbach und ihr Pastor Johannes Bonekemper

 

Die Gemeinde Rohrbach und die 7 km entfernte Kolonie Worms wurden im Jahre 1809 von Einwanderern aus dem Elsass, aus Baden und Württemberg sowie von pfälzischen Familien gegründet. In beiden Gemeinden schlossen sich die Reformierten und die Lutheraner zusammen und bildeten das evangelische Kirchspiel Rohrbach mit dem Filial Worms, eine Bezeichnung, die den Württembergern von ihrer Heimat her bekannt war. Nachdem im Jahre 1817 in Petersburg alle protestantischen Gemeinden nach einer erhebenden gemeinsamen Feier des dreihundertjährigen Reformationsjubiläums in der Petri-Kirche auch das Abendmahl gemeinsam gefeiert hatten, genehmigte Kaiser Alexander I., über diese Einmütigkeit erfreut, durch Erlaß, daß sich alle protestantischen Gemeinden in seinem Reich auf Wunsch als „evangelisch" bezeichnen konnten. Was in Rohrbach und Worms zum Segen beider Teile de facto vollzogen war, wurde damit allerhöchst de jure bestätigt. Das Bewußtsein des konfessionellen Unterschieds beschränkte sich in diesen Gemeinden darauf, dass die Reformierten beim Abendmahl das gebrochene Brot, die Lutheraner aber die Oblate erhielten. In der Schule lernte aas eine Kind die Gebote aus dem Heidelberger Katechismus, sein Nachbar aus dem in Württemberg gebräuchlichen Brenz'schen. Auch beriefen diese Gemeinden ihre Prediger ohne Rücksicht, welcher der beiden Konfessionen er angehörte, wenn er nur bereit war, die Abendmahlsfeier nach der hier eingeführten Weise zu begehen und den Religions- und Konfirmandenunterricht danach zu erteilen.

Es war auch ein Segen für diese Gemeinden, daß sie vierzehn Jahre nach ihrer Gründung in Pastor Johannes Bonekemper einen so verständnisvollen Prediger erhalten hatten, der durch seine Herkunft, seinen Lebensweg und sein Studium über konfessionelle Engherzigkeit hinausgewachsen war. Freilich erwartete ihn bei seinem Amtsantritt im Jahre 1824 nicht nur diese durch die konfessionelle Zusammensetzung der Gemeinden bedingte Eigentümlichkeit, die später freilich trotz friedlichem Beginn auch zu schweren inneren Kämpfen führen sollte.

Die religiös-sittliche Verfassung der Ansiedler war in den anderthalb Jahrzehnten, seit sie sich von ihren Heimatgemeinden und deren festen Lebensordnungen gelöst hatten, nicht besser geworden. Armut, Hungersnot als Folgen von Mißernten, das Wohnen in engen Erdhütten in den ersten Jahren haben manche gute Sitte gelockert und die Mensehen zum Schlendrian verleitet. Es gab keinen geordneten Schulunterricht und keine geregelte geistliche Bedienung. Ein Geistlicher kam bestenfalls ein- oder zweimal im Jahr aus einer entfernten Gemeinde oder aus Odessa. Von 1812 bis 1814 amtierte in Rohrbach ein Pastor Hübner, der dort auch starb. In einem von der Regierung angeforderten Bericht über die Entwicklung der Kolonien in der ersten Jahrhunderthälfte wird im Schriftstück über Rohrbach der Zustand in den ersten Jahren nach der Gründung der Kolonie folgendermaßen geschildert: „Trotz der vielen Heimsuchungen eines widrigen Schicksals konnte der Sittenlosigkeit nicht genügend Einhalt geboten werden, die wenigsten achteten auf die züchtende Hand Gottes zu ihrem Wohle. Wer sich im Taumel der Verschwendung und in der Macht berauschender Getränke auszeichnete, durfte darauf rechnen oder auch stolz sein, bei seinen Brüdern Beifall zu gewinnen, die im Schatten der Branntweinlokale ihre Hände ausruhen ließen, unbekümmert um das Wohl der Nachkömmlinge. Die Schulzen, Schullehrer und Schreiber verstanden das Handwerk gut, die Gläser zu stülpen. Die Jugend war ebenso ausschweifend herangewachsen. Die meisten lernten kaum lesen. Das war das letzte, für die Schule zu sorgen. Die Bessergesinnten fanden zur Gestaltung der bürgerlichen Ordnung bei ihren Schulzenämtern keine Unterstützung, und weil bei ihnen selten auf ein Zusammenwirken gerechnet werden konnte, war der Weg zum Besseren wie vermauert". Dies gilt wohl auch von den später in dieses Kirchspiel eingemeindeten Filialen Johannestal, Waterloo, Friedenstal und Stuttgart, deren Bewohner als Nachzügler im Jahre 1817 und danach in Südrußland angekommen sind.

Die beiden letztgenannten Dörfer und ein Teil der Einwohner Waterloos wurden bald darauf in die bei Odessa liegende Gemeinde Güldendorf umgesiedelt, die ebenfalls von Pastor Bonekemper bedient wurde. In Anbetracht des Zustandes der Gemeinde und der Ausdehnung des Kirchspiels stand Pastor Bonekemper hier vor schwersten Aufgaben.

 

Ev.-Luth. Kirche in Rohrbach
Ev.-Luth. Kirche in Rohrbach
Ref. Bethaus in Rohrbach
Ref. Bethaus in Rohrbach

✽ Kirchspiel Rohrbach-Worms

 

 

1812-1814 von Odessa und Güldendorf bedient

 

1815-1824 • Hübner, Elias

 

1824-1848 • Bonekemper, Johannes

 

1849-1851• vakant, von Güldendorf bedient

 

1852-1856 • Prüss, Ernst Theodor

 

1856-1859 • vakant, von Güldendorf bedient

 

1861-1865 • Uehlinger, Philipp Jakob

 

1865-1876 • Bonekemper, Karl

 

1877-1882 • Glinz, Johann

 

1880-1883 • Scharb, Friedrich

 

1899-1903 • Barnehl, Friedrich Carl

 

1903-1910 • v. Hösli, Kaspar

 

1911-1919 • von Schalinsky, Max Karl

Pastor Kaspar Hösli und seine Frau Pauline Hösli-Vatter im Pfarrgarten in Rohrbach
Pastor Kaspar Hösli und seine Frau Pauline Hösli-Vatter im Pfarrgarten in Rohrbach

Quelle: Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen | evangelischer Teil • Kaspar Höslis russisches Abenteuer | Marianne Jehle-Wildberger